Freitag, 10. November – Donnerstag, 7. Dezember 2017
8:00-24:00 Uhr – Montag – Samstag
Eintritt frei
Freie Universität Bozen – Universitätsplatz 1, Bozen
Ab Freitag, dem 10. November wird in der Freien Universität Bozen (Universitätsplatz 1, Bozen) die Wanderausstellung Erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus präsentiert. In diesem Rahmen wird auch die Begleitausstellung zur Rolle der italienischen Psychiatrie im Faschismus gezeigt.
Bis zu 400.000 Menschen wurden zwischen 1933 und 1945 zwangssterilisiert, mehr als 200.000 wurden ermordet. Bei der Selektion der Patienten wurde der vermeintliche „Wert“ des Menschen zum leitenden Gesichtspunkt. Ärzte, Pflegende und Funktionäre urteilten nach Maßgabe von „Heilbarkeit“, „Bildungsfähigkeit“ oder „Arbeitsfähigkeit“ über die ihnen Anvertrauten. Dabei fand die Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung auffälliger, störender und kranker Menschen innerhalb des damaligen Anstalts- und Krankenhauswesens statt. Erst ab 1980 beginnt die Aufarbeitung der Begebenheiten: im Jahre 2010 übernimmt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Präsidenten Frank Schneider offiziell die Verantwortung für die Verbrechen in der deutschen Psychiatriegeschichte.
Auf 50 Ausstellungstafeln, welche Biographien und historische Bilder zeigen, will die Ausstellung die Frage nach dem Wert des Lebens als Leitlinie nehmen und beschäftigt sich mit den gedanklichen und institutionellen Voraussetzungen der Morde, sie fasst das Geschehen von Ausgrenzung und Zwangssterilisationen bis hin zur Massenvernichtung zusammen, beschäftigt sich mit exemplarischen Opfern, Tätern, Tatbeteiligten und Opponenten und fragt schließlich nach der Auseinandersetzung mit dem Geschehen von 1945 bis heute. Fotografien, Zeichnungen, offizielle Dokumente und unveröffentlichte Schriften werden in Italien ausgestellt. Exemplarische Biografien ziehen sich durch die gesamte Ausstellung: In den Akten der Opfer werden die vielen verschiedenen Akteure fassbar, die an den Verbrechen beteiligt waren. Ihren Blicken auf Patienten werden deren eigene Äußerungen gegenübergestellt.
Kranke, psychiatrische Anstalten und Psychiater in Italien vom Beginn des Faschismus bis zum Zweiten Weltkrieg nennt sich die Begleitausstellung, welche von der Italienischen Gesellschaft für Psychiatrie (SIP) veranlasst und gestaltet wurde. Obwohl in Italien grundsätzlich die Tötung von kranken Menschen verweigert wurde, setzten sich im Jahre 1938 mit Unterstützung des damaligen Vorsitzenden der SIP, Arturo Donaggio, die Rassengesetze durch. Darüber hinaus verstarben in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges um die 30.000 Menschen in psychiatrischen Krankenhäusern aufgrund von Nahrungsmangel und Verwahrlosung; dies entsprach einer 60 fachen höheren Sterberate im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Mit diesem Zusatzteil der Ausstellung wurden verschiedenste Aspekte beleuchtet: die Situation der italienischen “Irrenhäuser” nach dem Ersten Weltkrieg, die Zustimmung zur faschistischen Ideologie der Psychiatrie und die Deportation der Patienten aus psychiatrischen Anstalten im Norden Italiens nach Deutschland.
Die Kuratoren der Ausstellung sind sich einig, dass es „ niemals mehr zu einem so gravierenden und empörenden Angriff auf den Menschen kommen darf und zu so einer dramatischen Verletzung der wissenschaftlichen und beruflichen Ethik durch diejenigen, denen die Behandlung der Kranken anvertraut ist. Die Erinnerung an die Verbrechen, die hier dokumentiert sind, sollte auch dem Verständnis der Welt von heute dienen, mit all ihren Konflikten, Tragödien und der Intoleranz gegenüber Mitmenschen.“
Die Ausstellung wurde von Petra Lutz und Frank Schneider mit einer eigenen Gruppe von Historikern herausgegeben und von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Zusammenarbeit mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Stiftung Topographie des Terrors realisiert. Im Jahr 2014 wurde die Ausstellung zum ersten Mal dem Deutschen Parlament in Berlin vorgestellt. Danach wurde sie unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland in London, Wien, Osaka, Kapstadt und Toronto präsentiert. In Italien fand die Ausstellung erstmals in Rom statt. Nun kommt sie nach Bozen unter dem Patronat des Präsidenten der Provinz, der Freien Universität Bozen, der regionalen SIP, dem Südtiroler Sanitätsbetrieb – Gesundheitsbezirk Bozen, der Sparkasse Bozen und der EURAC; geleitet wird sie gemeinsam von der Freien Universität Bozen und dem Psychiatrischen Dienst Bozen.